Covid Colombia / Teil 4
Seit nun mehr als fünf Monate «erlebe» ich hier in Colombia die Corona-Krise. Im Juli sind leider die Zahlen der Neuinfizierten explodiert. Wahrscheinlich lag dies daran, dass vorher nur wenige Test gemacht wurden. Jeden Tag erfolgten bzw. erfolgen Meldungen von über 10'000 Neuinfizierten. Dabei muss beachtet werden, dass jeden Tag an die 30'000 Tests durchgeführt wurden. Also ein Drittel der Getesteten tragen den Virus in sich. Gottlob gibt es nicht so viele Tote. Viele erkranken gar nicht und die, die erkranken, erholen sich oft wieder. Bis heute waren/sind (bei 2,45 Mio. durchgeführten Proben) 562'000 Personen mit dem Virus infiziert, davon haben sich 395'000 erholt und 17'900 sind leider verstorben. Dies die Fakten, welche ich täglich zugestellt erhalte. Aber diese sagen gar nichts über die tatsächliche Situation in Kolumbien aus, oder?!
Der 5-monatige Lockdown hat die fragile Wirtschaft sehr hart getroffen. Nach wie vor ist alles den Notrecht-Gesetzen unterstellt. So viel ich weiss, müssen Geschäfte, welche Kundenkontakt beinhalten, überaus strenge Auflagen erfüllen, damit mindestens ein paar Kunden bedient werden können. Da die Millionenstädte (Bogota, Medellin, Cartagena, usw.) als Pandemie-Herde erkannt wurden, sind dort zwar die Menschen «relativ» frei bzw. sollten nach Möglichkeit zuhause bleiben, können jedoch infolge der Gesetze mit dieser Freiheit nichts anfangen, da eben praktisch alles zu ist. Selbst Behörden, wie z B. Sozialamt, Arbeitsamt usw. sind geschlossen bzw. können nur noch online konsultiert werden. Wie ich selbst erfahren habe (meine Steuererklärung!), sind die Behörden dem Ansturm per Netz oft gar nicht gewachsen. Hinzu kommt, dass der öffentliche Verkehr (in Bogota ist dies Busverkehr) nur bis maximal 40 Prozent ausgelastet werden darf, was wiederum in Kolumbien fatal ist, da die noch arbeitende Bevölkerung meistens kein Privatfahrzeug hat und die Distanzen vom Wohn- zum Arbeitsort weit sind. Viele dürften Homeoffice machen, müssen dazu jedoch den eigenen (wenn denn vorhandenen) Computer benutzen und nicht alle können sich die - für hiesige Verhältnisse relativen teuren - «Datenautobahnen» leisten.
Ich bin nach wie vor in einer sehr, sehr privilegierten Lage.
Ich habe keinerlei finanzielle Einbussen oder Mehraufwände und wohne in einem
sehr sicheren Stadtbezirk. Trotzdem, die Kriminalität hat zugenommen, sagen die
Verantwortlichen in Bogota. Mich belastet eher die trostlose Situation, welche
ich bei meinen wöchentlichen Einkäufen sehe. Vor den Supermärkten stehen immer
mehr Menschen, die mich bitten, ihnen Lebensmittel zu kaufen oder ein wenig
Geld zu geben, damit die Miete bezahlt werden kann. Mich beelendet dies
zunehmend, denn ich kann nicht jedem helfen. Daher war ich happy, als Freunde
in Barichara mit dem dortigen Gesundheitsamt sprachen und fragten, welche
Bedingungen ich erfüllen müsse, damit ich von Bogota nach Barichara reisen dürfe.
Folgendes musste ich vorweisen: negativer Corona-Test (nicht älter als 36
Stunden), privater Transport (da meine Gründe zur Reise nicht ausreichen, um einer
der bewilligungspflichtigen Plätze in den öffentlichen Bussen zu ergattern) und
totale 14-tägige Quarantäne am Zielort. Na denn los! Ich liess mich in einem
der vielen Testzentren in Bogota testen. Die Ärzte und Gehilfe empfingen mich in
einem grossen Zelt auf einem Parkplatz ungefähr 200 m von meiner Wohnung weg.
Sehr kompetent wurde ich über das Testvorgehen informiert und nach Bezahlung
(ungefähr 44 CHF) wurde ein Nasenabstrich (so heisst das wohl) genommen.
Während der halbstündigen Wartezeit habe ich mich mit zwei Ärzten unterhalten,
welche mir von ihrer dankenswerten Arbeit in den Gesundheitszentren berichteten.
Die gesundheitliche Versorgung sei sehr prekär und man hoffe, dass es nicht mehr schwere
Erkrankungen geben werde, denn das Pflegepersonal und die Spitäler könnten
nicht noch mehr leisten. Da sage ich nur: Masken tragen, Hände waschen und nach
Möglichkeit nicht unter Menschen gehen! Mit etwas schlechtem Gewissen (weil
meine Gründe zur Reise ja wirklich nebensächlich sind) nehme ich das negative
(negativ ist gut) Ergebnis und schleiche mich davon. Am nächsten Tag ist mein
Koffer gepackt und ich werde vom Fahrer (ein Freund meiner Nachbarin in
Barichara) abgeholt. In rasanter Fahrt verlassen wir Bogota und erreichen nach
6 Stunden die Strassensperre vor Barichara. Eigentlich hätte die Señora del
Ministerio de Salud de Barichara dem Personal am Posten eine Meldung machen
sollen (wurde meiner Nachbarin so versprochen), aber dem war nicht so. Also
musste ich um 00.30 Uhr der Kontrolleurin diverse Fragen beantworten und den negativen
Test abgeben. Ich wurde eingelassen, aber ungefähr dreimal an die 14-tägige
Quarantäne erinnert. Todmüde, aber froh, sank ich um 1.00 Uhr in Morpheus Arme.
Geweckt wurde ich am nächsten Morgen von einer Mitarbeiterin des örtlichen
Gesundheitsamtes, welche sich besorgt nach meinem Befinden erkundigte und mir
Hilfe bei allfälligen Einkäufen zusicherte. Diese Anrufe - ob nun lediglich zur
Kontrolle, ob die Quarantäne eingehalten wird oder tatsächlich zum Anbieten etwaiger
Hilfe sei dahingestellt - wiederholen sich jeden zweiten Tag. Ich finde, sehr
nett! Jetzt kann ich hier in Barichara, bei warmem, sonnigem Wetter, so hoffe
ich, den restlichen Lockdown (welcher voraussichtlich bis 15.9. dauert)
verbringen. Etwas Abwechslung der Aussicht aus dem Wohnzimmer inklusive.