Cuarantena total / Teil 2
In der Quarantäne Ostern zu verbringen war nicht so schlimm.
Ich habe den ersten Monat zuhause mit viel Lesen, TV schauen, Backen und Kochen
verbracht. Zudem hat mein Wohnpartner sein Rennradl auf eine elektronische
Spinningrolle montiert, so dass ich - wohl zum ersten Mal im Leben - jeden Tag
eine Stunde Sport machte. War auch absolut nötig, da ich ansonsten wohl ein
paar Kilos zugelegt hätte.
Leider wurde die Quarantäne bis 27.04. verlängert, da über die Feiertage die
Zahl der Infizierten täglich um 200 hoch schwappte. Auch gab es mehr
Verstorbene zu beklagen. Die Zahlen waren wahrscheinlich den vermehrt
durchgeführten Tests geschuldet, denn bis anfangs April wurden lediglich die in
die «besseren» Spitäler eingelieferten Menschen getestet. Und wenn ich es mir
so recht überlege: die Dunkelziffer ist sicher 5 x höher als gemeldet! In den
ländlichen Gegenden werden - so vermute ich - auch heute noch keine Tests durchgeführt.
Die Bedingungen wurden nochmals verschärft, indem neu «pico y genero» verfügt
wurde. Zur Erklärung: da in Bogota seit Jahren ein tägliches Verkehrschaos
herrscht, wurde zur Verkehrsentlastung «pico y placa» eingeführt. Soll heissen,
montags dürfen nur Autos fahren, wenn ihre Nummer mit einer geraden Zahl endet,
dienstags die Autos, welche mit ungerader Nummer enden usw. Die neu verfügte Massnahme «pico
y genero» gleicht der soeben beschriebenen Regel. An Tagen mit geradem Datum
durften nur noch Frauen die Quarantäne verlassen, um Einkäufe oder «lebensnotwendige»
Geschäfte zu tätigen. An Tagen mit ungeradem Datum, durften die Männer raus.
Notiz am Rande: Einkäufe während den Frauentagen dauerten im Durchschnitt 1,2
Stunden, die Männer benötigten 2 Stunden!?!
Am 24.04. verkündet Präsident Duque nochmals eine Verlängerung der Ausgangssperre,
neu wurde das Ende per 25.05. angesetzt. Ja was soll's?! Machen kann ich ja eh
nichts. Wenigstens wurde erlaubt, dass am 27.04 die Menschen wieder eine Stunde
raus dürfen, um Bewegung zu geniessen. Aber zeitlich (zwischen 7 und 10 Uhr)
und räumlich (innerhalb von 2 km) begrenzt. Da bin ich mal froh, dass gleich
neben der Wohnung der Park «EL Virrey» liegt! Am 27.04. packte ich meine
Walkingstöcke aus und «steckelte» täglich meine Stunde im Park rum.
Selbstverständlich mit Gesichtsmaske (nachdem ich vom Parkwächter darauf
hingewiesen wurde). Persönlich darf ich mich also nicht beklagen, trotzdem bin
ich Quarantänemüde. Zudem mache ich mir Gedanken, wie ein Land wie Kolumbien
diesen Lockdown wirtschaftlich verkraften soll. In den Nachrichten (sogar in
der Schweiz) sehe ich jeden Tag Berichte über die schreckliche Lage in den
ärmeren Vierteln der Stadt. Nicht nur in den Slum-Vierteln haben viele Menschen
kein Einkommen mehr und können ihren Lebensunterhalt (Miete, Essen) nicht mehr
bezahlen und werden obdachlos und hungern. Zudem ist die Quarantäne und damit das "social distancing" in diesen
Vierteln praktisch nicht umsetzbar, da sich Grossfamilien (z.B. 15-köpfige
Familien aus drei Generationen) eine Wohnung teilen. Heute habe ich einen
Artikel gelesen, der darauf hinwies, dass die Menschen entweder an Covid-19 sterben
oder verhungern werden. Ehrlich jetzt? Stellt sich dann schon die Frage, ob die
strenge Quarantäne wirklich nützt oder lediglich die Privilegierten beschützt? Natürlich versucht der Staat zu helfen, aber
woher das Geld nehmen? Der Hälfte der 49 Millionen Kolumbianern steht das
Wasser bis zum Hals. Wenige haben Ersparnisse (wie auch, bei den kleinen
Einkommen?), um eine 9-wöchige Quarantäne zu überleben. Arbeitslosengelder oder
Kurzarbeit existieren hier nicht. Zwar darf die Baubranche (Baufirmen und somit
alle Zulieferer) wieder bauen, aber Kolumbien liegt ökonomisch am Boden. Kein
Tourismus mehr, die bisherigen Exportschlager Blumen, Textil und Rohstoffe können
mangels Bestellung nicht mehr verkauft werden und die Nahrungsmittelherstellung
muss teilweise minimiert werden, da der Export und der einheimische Markt
eingebrochen sind. Es gibt offiziell ca. 3 Millionen Arbeitslose, aber
inoffiziell geht man von einer Arbeitslosigkeit von ca. 10 Millionen aus (in
dieser Zahl wären auch die Tagelöhner und Kleinsthändler inbegriffen, welche nicht
genug verdienen, um ihren Lebensunterhalt zu decken). Ob und wie rasch sich die
kolumbianische Wirtschaft von einem solch schweren Schlag erholen kann, wird
sich zeigen. Ich bin eher pessimistisch, aber lasse mich gerne eines Besseren belehren.
Abwarte und Teeli trinken..........